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Deutscher Buchpreis 2019 - Die Longlist

Endlich! So oft habe ich es mir vorgenommen, und nie habe ich es durchgezogen. Aber dieses Jahr mache ich es: Ich lese bis zur Preisverleihung am 14.10.2019 möglichst viele Titel der diesjährigen Longlist zum Deutschen Buchpreis und küre meinen persönlichen Gewinner. Schonungslos werde ich auch meine persönlichen Nieten benennen. 

 

Am 17.09.2019 wird die Shortlist bekannt gegeben. Ich werde versuchen, die Information darüber, wer drauf ist und wer nicht, auszublenden und möglichst unvoreingenommen meine Meinung kundtun. 

 

(Ich entschuldige mich schon jetzt bei den Autoren, deren Bücher mir nicht gefallen. Ihr schreibt halt nicht gefällig, sondern habt einen gewissen Anspruch dabei und vielleicht bin ich einfach nur zu ungeduldig, zu abgelenkt, zu nicht bereit oder gar zu unreflektiert und zu blöd für Eure Arbeit, die ich auf keinen Fall schlecht machen will. Es ist nur mein persönlicher unbedeutender Geschmack, der nicht zu Euren Büchern passt. Seid mir nicht böse und macht weiter so. Es kann ja nicht jedem gefallen und das wollt Ihr auch nicht.  Und das ist prima so. :-*)

 

In den nächsten Wochen werde ich hier peu à peu meine Leseeindrücke kundtun.

Lola Randl: Der große Garten

Der große Garten ist viel mehr als ein Buch. Es ist die schriftliche Ergänzung zu Lola Randls Dokumentarfilm Von Bienen und Blumen und mit diesem Film zusammen die Erzählung darüber, wie alternatives Leben auf dem platten Land mit postkapitalistischen Organisationsformen gestaltet werden könnte.

 

Außerdem ist der "Große Garten" der historische Schlossgarten von Schloss Gerswalde in der Uckermark, und gegenwärtig ein Ausflugsziel, das wohl von Berlinern gern angesteuert wird und an dessen Aufbau und Kultivierung Lola Randl offenbar intensiv beteiligt war.

 

Das Buch: In tagebuchartigen Skizzen schreibt die Erzählerin über den Garten als therapeutische Maßnahme, über die Beziehung zu Mann und Liebhaber, über die Skepsis ihrer Mutter, was ihre plötzliche Garteneuphorie angeht und über die Dorfgemeinschaft. Und sie reflektiert ausführlich über das Gärtnern und streut immer wieder handfeste Informationen und sachkundige Spezialtipps ein. Das liest sich nett und ist durch humorvolle Einschübe auch kurzweilig. Meins ist es nicht so sehr, und zwar hauptsächlich thematisch nicht. Ich bin zwar gern draußen, aber lieber in der Natur, als dass ich mich beim Gärtnern austobe.  

 

Nun ist dieses Buch ja auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis gelandet, mit dem laut Eigenauskunft ein Roman ausgezeichnet wird. Und ich frage mich, was das Buch dann da macht? Meiner Meinung nach ist dies kein Roman, sondern allenfalls autobiographische Fiktion oder wie man das auch immer als Gattung nennen mag. Mir ist klar, dass der klassische, runde, zu Ende erzählte epische Roman schon seit 100 Jahren in der "Hochliteratur" faktisch nicht mehr existiert. Und ich komme damit prima klar. Spätestens seitdem ich an der Uni Roman- und Literaturtheorie lernen durfte. Aber ich bin heutzutage Buchhändlerin und frage mich, wie meine Kund*innen reagieren, wenn sie diesen Text kaufen und zuhause feststellen, dass dies nach ihrem Empfinden kein Roman ist. Wahrscheinlich sind sie verärgert, bestenfalls nur enttäuscht. Vermutlich werden sie den Unterschied zwischen ihrer Erwartung "Roman" und der hier tatsächlich vorhandenen Textform irritierend finden. Ich unterstelle mal, dass der größere Teil der Leser keine literaturwissenschaftliche Ausbildung hat und auch kein Interesse an gattungsspezifischen Fragen. Schlimmstenfalls wenden sie sich enttäuscht ab. Was schade wäre, denn es ist ein schönes Buch.

 

(Die gleiche Frage habe ich zu Herkunft von Saša Stanišić. Das ist nach meinem Verständnis ebenfalls kein Roman. Die Leute vom Buchpreis sollten die Kategorie anpassen und erweitern, wenn sie solche Bücher berücksichtigen möchten.)

 

Preisverdacht: Hat es nicht auf die Shortlist geschafft.

Tom Zürcher: Mobbing dick

Dick Meier ist unzufrieden. Sein Studium bricht er ab und am liebsten würde er lieber heute als morgen aus seinem kleingeistigen Elternhaus ausziehen. Aber er findet nie so recht Gehör, kann seine Wünsche nur sehr schwer formulieren und sieht sich meist mit vollkommen falschen Annahmen seiner Gesprächspartner konfrontiert, die abenteuerliche Meinungen über ihn haben und ihn ständig missdeuten. Dadurch angestachelt, nimmt Dick es anfangs ebenfalls mit der Wahrheit nicht so genau. Bald lügt er ohne Rücksicht auf Verluste.

 

Dies ist wohl sein Grundproblem und setzt sich auch in seinem neuen Job bei der Schweizerischen Bankanstalt fort. Tom Zürcher zeigt die Stümper, die riesige Vermögen verwalten, die eitlen Top-Banker, die realitätsverlustigen Sachbearbeiter. Satire pur. Dieser Aspekt des Romans macht mir viel Spaß. Nachdenklich stimmt die Schattenseite des Big Business, die hier gezeigt wird. Die Bankanstalt ist eine Mühle, die die psychische und körperliche Gesundheit ihrer Mitarbeiter herausfordert. Wen wundert es da, dass Dick irgendwann beginnt, Stimmen zu hören und zu "Mobbing Dick" mutiert? Herrlich finde ich auch die Dialoge, am schönsten sind sicher die Gespräche zwischen den Eltern und Dick. Schon die Story rund um seinen Namen ist lesenswert.

 

Was mir absolut keine Freude macht, ist die Darstellung der Frauen in diesem Buch, und deshalb lässt es mich - Satire hin, Satire her - ziemlich ratlos zurück. Die weiblichen Figuren sind entweder willfährige Hausmütterchen (Mutter), die, wenn sie denn ausbrechen, sich erstmal mit Cartier und Pelz vollhängen und zu Luxusweibchen mutieren (dies.), oder eine ungepflegte, ausbeuterische Antikapitalistin (Schwester). Oder ein verhuschtes Fräulein (Angestellte des Vaters, die natürlich sofort bei ihm einzieht, als die Mutter flieht). Oder, um auch wirklich alle Klischees bedient zu haben,  eine mit sexistisch aufgeladener Sprache beschriebene Top-Bankerin, die sich natürlich nicht aufgrund ihrer Ausbildung für den Job qualifiziert hat, sondern per Beischlaf. Das würde ich alles tolerieren, der Satire wegen, wenn nicht gegen Ende des Romans ausführlich beschrieben wäre, wie die einzige ansatzweise ernstzunehmende Frauenfigur, diese Bankerin nämlich - in einem Nachwehen von K.O.-Tropfen, die ihr jemand verabreicht hat, denn natürlich sind alle Männer total heiß auf sie - tagelang wehrlos in ihrem Minikleid herum liegt. Wie ihr Kleid - natürlich - hochgerutscht ist, wie sie - natürlich - keinen Slip trägt und wie man -natürlich - dauerhaft ihre "Muschi" sieht. Und zum Schluss wird es noch richtig unschön.

 

Sorry, aber auf sowas hab ich keinen Bock. Bin wohl nicht die Zielgruppe.

 

Preisverdacht: Hat es nicht auf die Shortlist geschafft.

Angela Lehner: Vater unser

"Das ist aber pädagogisch wertvoll hier", sage ich zu meinem Wächter. "Is scho recht", sagt er.

 

Dieser Roman hat mich sehr begeistert! Eva Gruber wird in eine psychiatrische Klinik in Wien eingeliefert. Dort mischt sie Pflegepersonal, ihren Psychiater und die Mitpatienten auf, allen voran ihren Bruder, der sich ebenfalls in dieser Klinik befindet.

 

"Die meisten Kranken", sagt er und zeigt hinunter auf die Stadt, "sind dort."

 

Zunächst war ich überrascht, wie schräg, sarkastisch und sympathisch ich Eva finde. Aus ihrem Blickwinkel wird die Geschichte erzählt und ich habe Tränen gelacht. Bis kurz vorm Erstickungstod. Ihre Gespräche mit Dr. Korb - Hammer! Ihre Lügen und abgeklärte Sicht auf ihre Umwelt - genial! Ihre gnadenlose Bewertung und Manipulation der Mitmenschen, ihre spontanen Wortspiele, ihre Schlagfertigkeit, ihre abgefahrene Kaltschnäuzigkeit - umwerfend! Doch natürlich landet man nicht ohne triftigen Grund in so einer Anstalt. Schnell merkt man, dass man ihr nichts glauben darf und fragt sich dennoch ständig, was stimmt denn nun eigentlich und was nicht. Dann tritt plötzlich, als man sich gerade so gut in der Anstalt eingerichtet hat, jemand auf den Plan, der das ganze schöne Lügengerüst zum Einsturz bringt. 

 

Das ist der Diskussionsmodus meiner Familie. Vorwurfspingpong.

 

Und so ist der Roman auch keine Komödie, sondern packt noch mal so richtig mit einer eiskalten Hand nach dir und lässt dich nicht mehr los. Denn im zweiten Teil ist es so gut wie vorbei mit den brillanten Gesprächen von Patientin zu Korb. Nach und nach erfährt man von ihrer Vergangenheit, von ihrem Bruder Bernhard und den wahren Gründen für ihre Einweisung.

 

Ein prima Roman, ein prima Cover, dessen grelle Farben eventuell mit einer Szene in dem Buch zu tun haben könnte, wo es um die Farben von Wut und anderen Gefühlen geht. Eva ist wütend. Und ich bin froh, dass ich dieses Buch dank der Longlist gelesen habe. 

 

Preisverdacht: Gering. Die Normalen sind die Verrückten? Zu provokant. Nun muss ich aber auch gar nicht mehr orakeln: Heute (17.9.2019) ist auch die Shortlist veröffentlicht worden, und Angela Lehner ist leider nicht dabei. 

 

Eva Schmidt: Die untalentierte Lügnerin

Einer meiner Favoriten von der Longlist.

 

Maren hat einige Probleme, aber das größte Problem ist die schwierige Beziehung zu ihrer Mutter Vera. Die ist nämlich nur schwer zu ertragen. Nach einer Therapie versucht Maren, zurück ins Leben zu finden. Ihr Alltag, neue Freundschaften, das komplizierte Beziehungsgeflecht zu ihrer Familie, ihr Umhertreiben ohne klare Ziele - all das wird in wunderbar klarer, zarter Sprache erzählt. Sehr poetisch, sehr anschaulich, fast schon dokumentarisch.

 

Hat mich hin und wieder an Rachel Cusk erinnert, weil auch Eva Schmidt ihre Protagonistin oft mittels Spiegelung durch die anderen Figuren beschreibt. Es ist allerdings nicht nur Außenwirkung wie bei Cusk, die wir sehen, sondern hauptsächlich (psychologisch sehr versierte) Innenschau.

 

Und wer nach meinen ersten zwei Daumen-runter-Bewertungen meint, ich würde wohl nur weichgespülte Wohlfühlprosa mögen, dem kann ich nun voller Stolz sagen, nein, Irrtum! Denn dieses Buch ist keine leichte oder angenehme Lektüre. Maren geht es gar nicht gut. Traurigkeit, Suizid, Tod, Abschied, Einsamkeit, Unverstandensein, Desinteresse, Gefühlskälte, Isolation, Perspektivlosigkeit - das wären so meine Stichworte zu diesem Buch. Trotzdem schafft es die Autorin, dass man dabei bleibt. Obwohl eher handlungsarm, stellt sich ein prima Lesefluss ein und auch schnell Neugier auf die weitere Entwicklung von Marens Leben. 

 

Ein wirklich außergewöhnlich gutes Buch, das ich sehr gern gelesen habe. Ich hätte es wahrscheinlich nie in die Hand genommen, wenn es nicht auf der Longlist wäre. Deshalb hat sich mein Projekt "Longlist 2019" durch diese Entdeckung jetzt schon für mich gelohnt. 

 

Preisverdacht: Mittel. Ich wünsche mir, dass Eva Schmidt es wenigstens auf die Shortlist schafft! 

Nora Bossong: Schutzzone

Wie Robert Menasse, nur anders, sagte mir jemand zu Schutzzone. Gemeinsam haben diese beiden Bücher, dass ich nicht viel mit ihnen anfangen kann. 

 

Mira arbeitet in Genf für die UNO, erinnert sich an ihre Beteiligung an nicht unumstrittenen Einsätzen in Burundi, trifft einen alten Jugendbekannten wieder und bleibt bei allem, was sie erlebt, seltsam unlebendig.

Dazu passt auch die Rahmenhandlung. Alles liest sich sehr ermüdend und ich habe das Gefühl, die Autorin möchte zwar sehr viel Gutes und Richtiges mitteilen. Aber das geht - zumindest bei mir - auf Kosten des Lesevergnügens.

 

Ich habe das Buch relativ schnell beiseite gelegt, nicht beendet und zum nächsten Buchpreis-Anwärter gegriffen.  

 

Preisverdacht: Hoch, da die Preisträger ja meistens kein Lesevergnügen bescheren.

Karen Köhler: Miroloi

Nummer 1 auf meiner Liste ist der Roman von Karen Köhler, die ich seit ihrer Kurzgeschichtensammlung Wir haben Raketen geangelt für eine der vielversprechendsten deutschen Autorinnen halte. In dieses Buch habe ich bereits vor der Bekanntgabe der Longlist hineingeblättert - und war enttäuscht. 

 

Patriarchat, versklavte Frauen, eine dystopische Gesellschaft in Strukturen, wie man sie sich nicht krasser, kaputter, menschenverachtender vorstellen kann und mag. Misogynie auf die Spitze getrieben. Und auf kaum einer einzigen längeren Passage, so scheint mir, eine Pause von dieser niederschmetternden Atmosphäre. Kein Lichtblick in Sicht. Die Protagonistin lehne sich gegen die Verhältnisse auf, verspricht immerhin der Klappentext. Reicht das, damit ich dieses Buch aushalte? Ich weiß es nicht.

 

Ich bin wirklich nicht eine dieser Frauen, die glauben, dass Gleichberechtigung herrscht und wir den Feminismus nicht mehr brauchen. Im Gegenteil, ich rege mich wahnsinnig auf über dumme Bemerkungen, über Ungleichheit, über Gewalt, Missbrauch und Unterdrückung.

 

Aber bei diesem Buch frage ich mich:  Wer mag das lesen? Ich jedenfalls nicht, ist mir alles zu viel. Die Sprache ist wie immer toll, aber ich steh nicht so auf Bücher, die mich verstören.

 

Trotzdem sicher ein sehr interessantes Buch und Ihr solltet mal einen Blick hineinwerfen, um Euch ein eigenes Bild zu machen.

 

Ich merke, das Buch beschäftigt mich, auch wenn ich es als Lektüre - für mich - so kategorisch ablehne. Hm, vielleicht lese ich ja irgendwann doch? Manchmal ist es schlicht eine Stimmungsfrage, ob ein Buch gefällt oder nicht. Momentan sagt meine Stimmung nein. Ich bin gespannt, was andere Leser*innen dazu sagen.

 

Preisverdacht: Mittel. Wahrscheinlich zu provokant. Eigentlich schade. 

tbc

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